Buchtipps / 2007 / Dezember
erstellt von der STUBE (Studien- und Beratungsstelle für Kinder und Jugendliteratur) und dem Österreichischen Bibliothekswerk

Hanna Johansen: Ich bin hier bloß die Katze
/ Hanna Johansen. Ill. von Hildegard Müller -
München : Hanser, 2007. - 124 S. : Ill.
ISBN 978-3-446-20910-7 fest geb. : ca. € 10,30
Haustiere sind ein beliebtes Sujet der Kinderliteratur, meistens aber werden sie aus menschlicher Sicht betrachtet oder der familiäre Konflikt, ob das Kind nun ein Haustier haben darf, wird verhandelt. Hier ist die Blickrichtung sozusagen umgekehrt: Erzählt wird aus der Sicht von Ilsebill, einer Hauskatze, die über das Leben mit ihrer Menschenfamilie berichtet und dieses durchaus herablassend kommentiert: „Ehrlich, ich habe nichts gegen Weihnachten. Sollen sie es doch feiern. Aber ich möchte damit lieber nichts zu tun haben“. Auch mit anderen seltsamen Angewohnheiten der Menschen muss sie sich herumschlagen, etwa dem neuen Baby oder dem rätselhaften Phänomen des Urlaubs. In Hildegard Müllers Schwarz-Weiß-Illustrationen werden die Eigenheiten der tierischen Protagonistin, unter anderem ihr wunderbar arroganter Blick, ebenso witzig in Szene gesetzt wie in Hanna Johansens lakonischem Text. Ab 9
Kathrin Wexberg | STUBE

Katharina Braun (Hg.): 24 Weihnachtsgeschichten
: ein Geschichten-Adventskalender / hrsg. von Katharina
Braun. Mit Ill. von Eva Schöffmann-Davidov - Köln : Boje, 2007.
[192] S. : zahlr. Ill.
ISBN 978-3-414-82055-6 fest geb. : ca. € 13,30
Das für Kinder schier endlos lange Warten auf Weihnachten wird durch Adventkalender versüßt – und nicht immer muss dieser mit Schokolade gefüllt sein! In diesem Adventskalenderbuch sind 24 Originalbeiträge von renommierten AutorInnen wie Heinz Janisch, Jutta Richter oder Barbara Zoschke versammelt, die sich thematisch um verschiedene Aspekte rund um Weihnachten und Advent, manchmal mit einem durchaus kritischen Unterton, drehen. Um die Versuchung, doch schon ein Stück vorzublättern, zu verringern, sind die Doppelseiten verschlossen und werden erst am jeweiligen Tag aufgeschnitten oder –gerissen. Zwischen den Geschichten finden sich ausgesprochen originelle Porträts von Weihnachtsmann und Rentier, die auf ihrer Couch dem Weihnachtsabend entgegenfiebern... Ab 8 Jahren.
Kathrin Wexberg | STUBE

Nicolas Fargues: Nicht so schlimm
: Roman / Nicolas Fargues. Dt. von Frank Wegner. -
Reinbek : Rowohlt, 2007. - 187 S.
ISBN 978-3-498-02117-7 fest geb. : ca. € 17,40
Eine Beziehung, gelebt als Kampf bis ins Schlafzimmer - eine neue Liebe als Rettung in letzter Sekunde. (DR)
Ein Mann, Franzose, 30, gutaussehend, gebildet, charmant, seelisch völlig
down, Ehebrecher und Betrogener zugleich, erzählt mir, ja mir ganz
allein, vom Scheitern seiner Ehe. Bereits zu Beginn fragt er mich, den
Leser, "gehe ich dir auf die Nerven"? Seit Seite eins sind wir
per Du - angenehm -, ein Mann erzählt mir, wie das so ist, wenn eine
Beziehung plötzlich ohne Logik und Menschenverstand gelebt wird.
Ich weiß jetzt, wie es sich anfühlt, wenn ein Mann leidet wie
ein Hund und von seiner tobenden Ehefrau Schläge bezieht. Wie lähmend
es ist, wenn zwei Partner unfähig sind, eine langjährige Beziehung
zu beenden, obwohl der Leidensdruck auf beiden Seiten enorm ist und es
kaum noch "friedliche" Momente gibt. Für den jeweils anderen
nicht der zu sein, den derjenige braucht - es aber unbedingt sein zu wollen
und erkennen zu müssen, das alle Mühe umsonst ist.
Nicolas Fargues' "Anti-Held" und seine Frau sind nicht zimperlich
bei der Wahl der Waffen - sie betrügen, belügen und fügen
sich unaufhaltsam tiefe seelische Wunden zu. Kinder sind auch noch da,
spielen in diesem Zweier-Drama aber nur eine periphere Rolle. Dann, als
ich als Leser schon beinahe zu verzweifeln drohe, ein Lichtblick in Form
einer jungen Italienerin, die sich für unseren Verzweifelten interessiert
und ihm die Freude am Leben und den Glauben an die Liebe wiedergibt. Lieber
Nicolas Fargues, ich danke Ihnen für dieses beschwingte und gleichzeitig
traurige Buch. Lebenskrise und Lebensfreude pur - ehrlich, tragisch, komisch,
menschlich und ganz nebenbei eine der mutmachendsten Liebesgeschichten
der letzten Zeit.
Barbara Rieder | biblio

Veit Heinichen: Totentanz
: Roman / Veit Heinichen. - Wien : Zsolnay, 2007.
- 315 S.
ISBN 978-3-552-05414-1 fest geb. : ca. € 20,50
Macho-Commissario Proteo Laurenti in privaten und beruflichen Nöten. (DR)
"Totentanz" ist nun bereits der fünfte Kriminalroman aus
der Feder des in Triest lebenden deutschen Schriftstellers und ehemaligen
Verlagsleiters Veit Heinichen rund um den sympathischen Commissario und
Vice-Questore Proteo Laurenti. Erwartet man sich in Folge fünf der
Krimiserie Ermüdungserscheinungen bei Heinichens gewohnt interessantem
Mix aus Spannung, Witz und Ironie, so wird man glücklicherweise enttäuscht.
Nach einem eher gemächlichen Start in die Krimihandlung folgen actionreiche
Ereignisse Schlag auf Schlag: eine Bombenexplosion erschüttert das
verschlafene Triest, eine brutal zusammengeschlagene Journalistin wird
in einem osteuropäischen Konsulat gefunden, ein spektakulärer
Autounfall fordert Todesopfer und Laurenti selbst wird zur Zielscheibe
der Ost-Mafia. Alte Bekannte wie das Verbrecher-Geschwisterpärchen
Tatjana und Viktor Drakic aus "Gib jedem seinen eigenen Tod"
(2002) haben mit illegalen Müllgeschäften und lukrativer Industriespionage
wieder ein verbrecherisches Netz aufgebaut und versuchen erneut, unter
neuen Identitäten, in Triest Fuß zu fassen.
Das Figurenpersonal rund um den machohaften, aber liebenswerten Commissario,
den kauzigen und menschenfeindlichen Gerichtsmediziner Galvano, die kontrollwütige
Sekretärin Marietta und Laurentis starke weibliche Hälfte Laura
wird durch die anfangs schwer durchschaubare ehrgeizige Assistentin Pina
bereichert. "Totentanz" ist wahrlich ein Lesegenuss der besonderen
Art und qualitativ in die Tradition großer Krimiunterhaltung à
la Donna Leon oder Henning Mankell einzureihen. Heinichen bietet das volle
Repertoire: actionreiche Spannung, realistische und zeitaktuelle Beschreibungen,
liebenswerte und mitunter reichlich skurrile Figuren und einen ausreichend
klug konstruierten Plot. Absolut empfehlenswert - auch als erstmaliger
Einstieg für Nichtkenner von Heinichens Krimiserie.
Barbara Tumfart | biblio

Julia Franck: Die Mittagsfrau
: Roman / Julia Franck. - Frankfurt a. M. : S. Fischer,
2007. - 429 S.
ISBN 978-3-10-022600-6 fest geb. : ca. € 20,50
Vom Verschwinden einer jungen Frau und Mutter nach dem Miterleben zweier Weltkriege. (DR)
Pommern 1945: Der siebenjährige Peter sitzt allein auf einer Bank
am Bahnsteig, seinen kleinen Koffer am Schoß, den Blick fortwährend
auf die Tür zur Bahnhofshalle gerichtet, hinter der die Mutter verschwand
- und nicht mehr zurückkehren wird. Peter wartet, kämpft gegen
den Schlaf an, doch von der Mutter Helene keine Spur, auch nicht am nächsten
Tag. So der ergreifende Prolog - ihn aus der Sicht des Siebenjährigen
zu schildern, war ein gelungener Kunstgriff - in Julia Francks jüngst
mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichneten Zeit- und Familienroman. Wie
es zu dieser kaltherzigen Tat einer Mutter kommen konnte, wie Taubheit
und Kälte von Helene Besitz nehmen, ihr ihre Träume und Hoffnungen
genommen werden, dem versucht Franck auf den folgenden 400 Seiten nachzuspüren:
Sie entwirft ein Charakterbild einer starken Frau, deren von Schicksalsschlägen
gezeichneter Lebensweg vielmehr ein Leidensweg war. Helenes gefühlskalte
Mutter, eine Jüdin, zieht sich immer mehr in ihre eigene Welt zurück,
nimmt ihre Töchter kaum mehr wahr. Der Vater kommt schwer verletzt
aus dem Ersten Weltkrieg zurück und stirbt kurze Zeit später.
Von der Mutter ungeliebt und verstoßen, wird die neun Jahre ältere
Schwester Helenes Bezugsperson, gemeinsam gehen die innig verbundenen
Schwestern von der Lausitz nach Berlin, wo sie die wilden Zwanziger Jahre
miterleben. Mit dem Tod ihres einfühlsamen Verlobten Carl verliert
die blitzgescheite junge Frau jegliche Zukunftsperspektive sowie die Hoffnung
auf das ersehnte Medizinstudium. Allein in ihrem Schmerz, sehnt sie ihr
Verschwinden herbei. In der Ehehölle mit dem deutschen Nationalsozialisten
Wilhelm, der ihr einen gefälschten Ahnenpass verschafft, verliert
sie nicht nur ein Stück ihrer Identität.
Wenngleich die in Berlin lebende Autorin detailverliebt ist und mancherorts
sehr in die Breite geht, vermag der Roman, der bei Francks eigener Familiengeschichte
Anleihen nimmt, insgesamt zu überzeugen. Franck bleibt dicht bei
ihrer Protagonistin, schildert ihr Zerbrechen ausdrucksstark. Ein Buch,
das in seiner Tragik nahegeht und dessen sinnliche Sprache noch lange
nachhallt. Äußerst lesenswert und allen Büchereien sehr
zu empfehlen.
Cornelia Gstöttinger | biblio

Brita Steinwendtner: Jeder Ort hat seinen Traum
: Dichterlandschaften / Brita Steinwendtner. - Innsbruck
: Haymon, 2007. - 278 S.
ISBN 978-3-85218-540-8 fest geb. : ca. € 19,90
Auf den Spuren der Dichter - ein poetischer Reiseführer zu literarischen Landschaften und kreativen Rückzugsorten. (PL)
Die bekannte Literaturjournalistin, Regisseurin und Autorin Brita Steinwendtner
entwirft hier eine beeindruckende Topographie literarischer Sehnsuchtsorte:
In 13 einfühlsam gezeichneten Porträts bringt sie uns bekannte
Dichter und Dichterinnen von einer sehr privaten Seite näher, macht
mit ihren Werken, den zentralen Themen und Grundlinien ihres Schaffens
vertraut. Allen gemein ist die Sehnsucht nach einem Ort, wo stilles Reflektieren
und Nachdenken, wo Kreativität und Schreiben möglich sind. An
diesen Sehnsuchts- und Rückzugsorten sucht sie die Autorin auf und
berichtet von ihren persönlichen Eindrücken, sodass faszinierende
Menschenbilder, sinnliche Landschaftsschilderungen und Wegweiser in literarische
Welten entstehen.
Sie spürt in der archaischen Landschaft Griechenlands Bruce Chatwins
Wanderpfaden nach oder lässt die mythische Karstlandschaft bei Triest
lebendig werden, die Schauplatz von Veit Heinichens Krimis wurde. Wir
begleiten Ilse Aichinger durch Wien, erfahren von der gebrochenen Geschichte,
die sie mit dieser Stadt verbindet. Lesen von Peter Turrini, der im nördlichen
Weinviertel, wo er ein altes Bauernhaus besitzt, seine Heimat gefunden
hat. Heften uns in Rom auf die Spuren von Bachmann und Urzidil, nehmen
staunend das Vergängliche und Ewige, das lebhafte Treiben dieser
Stadt auf. Tauchen ein in die melancholische Seenlandschaft in Altaussee,
die Barbara Frischmuth ihre Heimat nennt. Streifen mit Peter Handke durch
die Wälder von Versailles. Wandern mit Christoph Ransmayr zu seinen
Almen im Salzkammergut, die "eine zentrale Nabe" für den
Halbnomaden geworden sind, der akribisch an seinen Texten feilt und das
Wandern mit dem Erzählen vergleicht.
Es ist immer ein sinnliches Schauen, ein aufmerksames Wahrnehmen des Gegenübers,
ein In-sich-Aufnehmen von Landschaften und deren Stimmungen, das neben
großem Faktenreichtum vermittelt wird. Steinwendtner entführt
mit diesem kenntnisreichen Buch zu einer poetischen Reise durch literarische
Landschaften und lädt ein, die porträtierten DichterInnen neu
zu entdecken und sich selbst auf Erkundungsreise zu begeben. Der schön
aufgemachte Band eignet sich hervorragend für Literaturgesprächskreise
und ist allen Bibliotheken wärmstens zu empfehlen.
Cornelia Gstöttinger | biblio

Susanne Scholl: Töchter des Krieges
: Überleben in Tschetschenien / Susanne Scholl.
- Wien : Molden, 2007. - 198 S.
ISBN 978-3-85485-209-4 fest geb. : ca. € 20,50
Unter die Haut gehende Einzelschicksale aus Tschetschenien. (GE)
In letzter Zeit ist es in unseren Medien ruhig geworden um das einstige
russische Krisengebiet, doch so etwas wie Normalität ist dort noch
längst nicht eingekehrt. "Tschetschenien ist ein Exerzierfeld
für Clankämpfer und Kriegsgewinnler, für Opportunisten
und Fanatiker". Und immer sind es die Frauen, die nicht aufgeben
wollen, sondern mit unerschütterlicher Energie das Überleben
der Familien ermöglichen. Dabei haben sie nicht nur mit den Folgen
des Krieges zu kämpfen, mit dem Verlust von Ehemännern, Brüdern
und halbwüchsigen Söhnen, die als vermeintliche Terroristen
verschleppt wurden und meist auch verschwunden bleiben. Oder sie werden
wie Sara selbst angeklagt. Alte Clanbräuche, die es heiratswütigen
Männern erlauben, die Braut ihrer Wahl einfach zu rauben und nach
der Hochzeit auch schon mal zu verprügeln, erschweren ihr Leben zusätzlich.
ORF-Korrespondentin Susanne Scholl hat bei ihren zahlreichen Reisen in
dieses Gebiet diese Frauen kennen gelernt und ihre Geschichten aufgeschrieben.
Dabei nimmt sie sich selbst ganz zurück, sie wertet und urteilt nicht.
Das geht sogar so weit, dass sie ihre eigene Verhaftung auf Grund ihrer
engagierten Berichterstattung nur kurz und wie nebenbei erwähnt.
Für sie zählen in erster Linie die Frauen und deren Schicksale,
die sie unaufgeregt, aber gerade deshalb umso eindringlicher schildert.
Natürlich erfährt man auch das Wichtigste über die Geschichte
des Landes. Um den Überblick zu erleichtern, findet sich im Anhang
noch ein kurzer historischer Abriss. Die gut lesbaren Geschichten gehen
unter die Haut, weshalb das Buch sicher bei einer breiten Leserschicht
auf Interesse stoßen wird. Deshalb für alle Bestände wärmstens
zu empfehlen.
Anita Ruckerbauer | biblio

Ylva Eggehorn: Ich hörte Saras Lachen
: Frauen in der Bibel ; 15 Porträts / Ylva Eggehorn.
Aus dem Schwed. von Rainer Haak. - Freiburg i. Br. : Herder, 2007. - 157
S.
ISBN 978-3-451-29625-3 fest geb. : ca. € 15,40
15 einfühlsam beschriebene Frauengestalten aus dem Alten und Neuen Testament. (PR)
Hagar, Sara, Rebekka, Dina, Hanna, die Frau im Hohelied - wer waren sie? Worin lagen ihre Stärken, was waren ihre besonderen Verdienste oder Tugenden? Oder auch in anderer Richtung gefragt: Was macht gerade Maria Magdalena so interessant? Bestimmt nicht nur ihre ominöse Vergangenheit! Die Autorin legt äußerst einfühlsame Porträts von Frauen vor, die die Bibel auf ihre Weise prägen, obwohl oder gerade weil in den meisten Fällen eigentlich nirgends geschrieben steht, woher genau sie kommen. In ihren Interpretationen zieht die Autorin mehrere Quellen und Texte heran, die sie zu Überlegungen verwebt, genauso wie es in der Bibel geschieht: Auch diese ist letztlich ein Gewebe von Texten. Dieses Buch bietet eine sehr schöne Möglichkeit, sich den Inhalten der Bibel anzunähern, gerade auch wenn man nicht bibelfest ist. Ruhige Lektüre, nicht nur schön für die Advents- und Weihnachtszeit.
Rebecca Englert | biblio